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Hessisches Sondervermögen: „eine Generalermächtigung zum Mittelausgeben“

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Herr Dr. Lück, das hessische Corona-Sondervermögen wurde vom Staatsgerichtshof des Bundeslandes für verfassungswidrig erklärt. Wieso ist das sogenannte Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz nicht zulässig?
Ich muss sagen: Das ist verfassungsrechtlich eine hoch spannende Frage. Denn Sondervermögen, wie das in Hessen, sind nicht grundsätzlich unzulässig. Der Hessische Staatsgerichthof hat aber zwei gravierende Fehler erkannt. Erstens beachtet das Gesetz das Budgetrecht des Landtages nicht, zweitens hebelt es die Schuldenbremse aus.

Welches Problem ergibt sich bezogen auf das Budgetrecht?
Ein gewählter Abgeordneter muss jährlich darüber entscheiden, wofür er der Verwaltung, also in diesem Fall dem Ministerpräsidenten und seinen Ministern, ein Budget aus den Landesmitteln zur Verfügung stellt und wofür nicht. Natürlich gibt es auch Doppelhaushalte, aber grundsätzlich ist in jedem Jahr eine solche Rückkopplung notwendig. Das Sondervermögen entkoppelt das Geld vom Haushalt. Problematisch ist Paragraf 2 des Gute-Zukunft-Sicherungsgesetzes, Zweck und Mittelverwendung. Dort steht: „Das Sondervermögen dient der Finanzierung der notwendigen Maßnahmen zur Beseitigung der direkten und indirekten Folgen der Corona-Virus-Pandemie und zur Verhinderung weiterer Schäden.“

„Natürlich spielt auch die hohe Summe von 12 Milliarden Euro eine Rolle.“

Es werden im Folgenden zwar Maßnahmen benannt, allerdings bleibt offen, in welchen Fällen das Vermögen konkret ausgegeben werden darf. Das heißt, dass die Landesverwaltung sich einen großen Spielraum geschaffen hat. Hinzu kommt, dass der Paragraf 4 im ersten Absatz definiert: „Die Verwaltung des Sondervermögens erfolgt durch das Ministerium der Finanzen.“ Folglich muss die Exekutive nicht mehr mit dem Landtag abstimmen, was sie mit dem Sondervermögen finanziert, nachdem der Landtag einmal dem Gesetz zugestimmt hat. Zugespitzt gesagt: Die hessische Landesregierung hat durch das Sondervermögen quasi eine Generalermächtigung zum Mittelausgeben. Natürlich spielt auch die hohe Summe von 12 Milliarden Euro eine Rolle. Im Verfassungsrecht kommt die sogenannte Je-desto-Formel zum Tragen. Es gilt: Je höher die Summe, desto genauer muss die Mittelverwendung definiert sein.

Sie sagten eben, das Sondervermögen sei auch nicht mit der Schuldenbremse vereinbar?
Seit 2020 gilt nach Artikel 141 der hessischen Verfassung grundsätzlich ein Neuverschuldungsverbot. Das heißt, dass der Haushalt ohne Kreditaufnahme auszugleichen ist. Allerdings gibt es Ausnahmen, zum Beispiel im Fall von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen. Mit diesem vierten Absatz des Artikels 141 rechtfertigt die Landesregierung das Sondervermögen. Denn der Landtag hat – natürlich zurecht – mit der Coronapandemie eine Notsituation festgestellt.

Der Staatsgerichthof bringt nun allerdings in seinem Urteil zum Ausdruck: Wenn es unbürokratische Hilfen vom Land geben soll, dann ohne Kreditaufnahme. Wieder ist das Problem, dass der Veranlassungszusammenhang nicht hinreichend dargestellt wird. Wenn die Regierung 12 Milliarden Euro Schulden ohne konkreten Verwendungszweck aufnehmen darf, ist das letztendlich eine Kreditaufnahme auf Vorrat. Nun muss das Gesetz entsprechend nachgebessert werden.

„Die Frage bleibt also, ob die Summe in Hessen nicht unangemessen hoch ist.“

Wenn die Landesregierung darlegt, wofür sie das Geld genau braucht, wäre das Sondervermögen dann wieder zulässig?
Theoretisch ja, wenngleich man sagen muss, dass die Corona-Hilfsfonds der anderen Bundesländer deutlich niedriger ausfallen. Zum Vergleich: In Rheinland-Pfalz beträgt das Sondervermögen 1,1 Milliarden Euro. Die Frage bleibt also, ob die Summe in Hessen nicht unangemessen hoch ist.

Zum rheinland-pfälzischen Sondervermögen ist ein Normenkontrollverfahren beim Verfassungsgerichtshof anhängig. Dabei geht es ebenfalls um die Schuldenbremse des Bundeslandes sowie das Budgetrecht. Muss sich das Bundesland auf ein ähnliches Urteil wie in Hessen einstellen?
Um zu ermitteln, ob die Gesetze der anderen Bundesländer problematisch sind, kommt wieder die Je-desto-Formel zur Anwendung: Je höher das Sondervermögen im Vergleich zum Finanzvolumen des Haushalts ist, desto wichtiger ist es, dass die einzelnen Abgeordneten mitentscheiden können. Das Sondervermögen in Rheinland-Pfalz erachte ich wegen des kleineren Volumens als nicht so problematisch. 1,1 Milliarden Euro stehen in einem anderen Verhältnis zum Gesamthaushalt als die 12 Milliarden in Hessen. Die Mittel kommen in Rheinland-Pfalz auch aus dem Haushalt und sind nicht kreditfinanziert. Die Kriterien des hessischen Staatsgerichtshofs sind deshalb erfüllt.

Einen verfassungsrechtlichen Konflikt sehe ich allerdings in Sachsen. Dort kommen 725 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt. Gleichzeitig besteht aber die Option, über ein Sondervermögen Kredite in Höhe von bis zu 6 Milliarden Euro aufzunehmen. Das ist zwar nur halb so viel Geld wie in Hessen, allerdings ist der sächsische Haushalt für 2021 mit rund 21,34 Milliarden Euro auch ungefähr halb so hoch wie der hessische mit rund 40,2 Milliarden Euro. Das Verhältnis ist also fast gleich.

Sind Sondervermögen überhaupt in der Verfassung angelegt?
Nein. Das hat auch der Hessische Staatsgerichtshof in seinem Urteil betont. Trotzdem sind sie nicht grundsätzlich verfassungswidrig. Die Exekutive kann darauf zurückgreifen, das Sondervermögen muss aber entsprechende Kriterien erfüllen. Zum einen muss der parlamentarische Einfluss auf die Mittelbeschaffung und -vergabe gesichert sein. Zum anderen muss eine überschaubare und eindeutige Zwecksetzung vorhanden sein.

Es gab auch schon vor der Coronapandemie Sondervermögen, allerdings nicht in dieser Größenordnung. Auf der kommunalen Ebene hat der Bürgermeister in der Regel einen kleinen Topf, bei dem es keiner Rechtfertigung bedarf, zum Beispiel für Vereinsförderung. Letztendlich ist das dann auch dem Haushalt entkoppeltes Geld, allerdings sprechen wir hier von Summen im vierstelligen oder niedrigen fünfstelligen Bereich.

Stichwort kommunale Ebene: In Hessen wurde 2020 die Kompensation von Gewerbesteuermindereinnahmen in Höhe von 661 Millionen Euro aus dem Sondervermögen finanziert. In Paragraf 2 des hessischen Gute-Zukunft-Sicherungsgesetzes sind insgesamt bis zu 2,5 Milliarden Euro zur Stärkung der Partnerschaft mit den hessischen Kommunen vorgesehen. Hat die Entscheidung des Staatsgerichtshofs Auswirkungen auf die Kommunen in Hessen?
Nein, denn letztendlich ist der Kommune egal, woher das Geld kommt. Alles, was das Bundesland bisher mit dem Sondervermögen gezahlt hat, ist zulässig. Der Staatsgerichtshof hat der hessischen Landesregierung nun eine Frist bis März 2022 gesetzt, um das Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz anzupassen. Bis dahin muss es einen anderen Weg geben, wie die Kommunen Geld bekommen.

„Das reine Regierungshandeln war vielleicht in der Anfangszeit der Pandemie gefragt, nun müssen Abgeordnete aber wieder mitreden dürfen.“

Wenn die Mittel bereits im Landeshaushalt veranschlagt werden, muss der Finanzminister darlegen, wofür das Geld konkret benötigt wird. Mehrere Gremien prüfen, und das Parlament stimmt anschließend ab. Das dauert natürlich länger, es ist aber demokratisch. Das reine Regierungshandeln war vielleicht in der Anfangszeit der Pandemie gefragt, nun müssen Abgeordnete aber wieder mitreden dürfen.

Die SPD-Fraktion im hessischen Landtag hat den Rücktritt von Finanzminister Boddenberg gefordert. Ist das im Hinblick auf den Umgang mit dem Corona-Sondervermögen gerechtfertigt?
Nein. Die Summe in Hessen ist zwar außerordentlich hoch und es war vielleicht blind, zu denken, dass die Schuldenbremse in der Coronakrise keine Rolle spiele. Als das Sondervermögen Anfang Juli 2020 verabschiedet wurde, befanden wir uns aber in einer absoluten Sondersituation. Da ebbte gerade die erste Coronawelle ab, und niemand konnte die finanziellen Konsequenzen der Pandemie abschätzen. Die Schuldenbremse war zu diesem Zeitpunkt in Hessen noch relativ neu. Zudem gab es zum Thema Sondervermögen bis Dato keine Rechtsprechungspraxis – man wusste also nicht, was erlaubt ist und was nicht. Deshalb hat die Entscheidung jetzt auch so eingeschlagen. Jetzt ist das Thema natürlich bei allen Finanzministern auf den Schreibtischen.

a.jarchau@derneuekaemmerer.de

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