Viele Jahrzehnte lag der Fokus der öffentlichen Hand darauf, Aufgaben mit Steuern zu finanzieren sowie sparsam und wirtschaftlich zu haushalten. Steuerliche Pflichten entstanden nur, wo die öffentliche Hand mit Betrieben gewerblicher Art Umsätze in relevanter Größenordnung erzielte.
Mit der Neuordnung der Umsatzbesteuerung war die öffentliche Hand gezwungen, den Fokus neu auszurichten. Angesichts der komplexen Verwaltungsstrukturen und der Vielzahl an betroffenen Dienststellen und Einrichtungen der Innenverwaltung mit unterschiedlichen Zielsetzungen wurde schnell klar, dass die Ausgangslage anspruchsvoll ist.
Gefragt war deshalb für Baden-Württemberg eine Lösung, die nicht nur im Innenministerium, sondern auch in den Polizeipräsidien und Regierungspräsidien einen verlässlichen Überblick über Risiken sicherstellt. Deshalb hat sich die Landesregierung früh entschieden, diese Herausforderung mit einem Tax Compliance Management System – kurz TCMS – zu meistern. Durch verbindliche Beschlüsse zur Einführung und Festlegung von Rahmenbedingungen haben wir dazu den Grundstein gelegt. Die Implementierung eines TCMS unterstützt die Dienststellen dabei, ihre interbetriebliche Organisation so anzupassen, dass sie den Anforderungen des Steuerrechts gerecht wird. War jahrelang allein das Haushaltsrecht der Kompass, kam nun das Ziel, steuerliche Rechtsverstöße zu vermeiden und steuerliche Verantwortlichkeiten klar zu regeln, hinzu.
Herausfordernde Implementierung des TCMS
Für die Innenverwaltung haben wir uns im Jahr 2021 entschieden, die erforderliche Kompetenz in einer Stabstelle zu bündeln und so einheitliche Standards in allen Dienststellen und Einrichtungen zu ermöglichen. In diesem Zuge haben wir auch entschieden, die Implementierung eines TCMS wissenschaftlich begleiten zu lassen. Das Kompetenzzentrum Tax Compliance der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg hat daraufhin unsere Projektschritte kritisch und mit großer Expertise fachlich begleitet.
Der Weg der Implementierung eines TCMS war herausfordernd. Er zeigt rückblickend freilich auch, dass es Zeit ist für einen Paradigmenwechsel in der Besteuerung der öffentlichen Hand und der Beziehung zwischen der öffentlichen Hand als Steuerpflichtigem und dem Finanzamt:
Bisher gilt die vertikale Kontrolle der Finanzverwaltung gegenüber den Steuerpflichtigen. Die öffentliche Hand ist jedoch kein gewöhnlicher Steuerpflichtiger. Deshalb ist hier ein Richtungswechsel zeitgemäß. Ein Blick zu unseren Nachbarn in Europa zeigt, dass dort bereits ein Umdenken begonnen hat. Kontrolliert sich ein Steuerpflichtiger selbst und macht sich dadurch transparent, ändert sich die Rolle der Steuerverwaltung von der Kontrolle zur Begleitung. Österreich und die Niederlande gehen bereits diesen Weg. Seit 2023 bis Ende 2029 erprobt die Finanzverwaltung in Baden-Württemberg im Bereich der Konzerne, wie ein TCMS IT-technisch ausgestaltet sein sollte, damit Prüfungserleichterungen für die nächste Betriebsprüfung gewährt werden können.
Der Blick richtet sich aktuell noch ausschließlich auf die Großkonzerne. Das wollen wir ändern, damit sich auch für den Mittelstand und die öffentliche Hand der mit einem TCMS verbundene Aufwand lohnt. Ein angemessenes und wirksames TCMS kann ein möglicher Einstieg in einen Vertrauensvorschuss der Finanzverwaltung gegenüber dem Steuerpflichtigen, insbesondere der öffentlichen Hand, sein.
Haftungsrisiken reduzieren
Zweitens reduziert ein TCMS Haftungsrisiken und wirkt vorbeugend gegen Sanktionen. Tax Compliance Management Systeme werden von der Rechtsprechung bei auftretenden Fehlern als Indiz gegen ein Organisationsverschulden gewertet. Deshalb wirken sie als Maßnahme gegen Haftungsrisiken und Sanktionen. Gleichzeitig hilft ein TCMS, steuerliche Pflichten zu identifizieren und deren Erfüllung sicher zu stellen, so dass ein wirtschaftliches Haushalten gewährleistet ist.
Die Praxis hat gezeigt, dass das Thema Tax Compliance bei der öffentlichen Hand von zwei zentralen Fragen dominiert wird: „Wer ist für ein TCMS verantwortlich?“ und „Wann wird die öffentliche Hand steuerpflichtig?“. Diese Fragen haben wir zum einen damit beantwortet, dass die Behördenleitungen als Vertreter der Behörde in der Verantwortung für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten stehen. Wie andere Aufgaben können diese natürlich delegiert werden. Zum anderen wird die Steuerpflicht der öffentlichen Hand vom Grundsatz der Steuergerechtigkeit getragen, der aus dem Gleichheitssatz in Artikel 3 des Grundgesetzes abgeleitet wird. Eine Steuerpflicht besteht nur, wenn die betreffende Tätigkeit im Wettbewerb zu Unternehmen der Privatwirtschaft steht.
Schwierige Abgrenzung
Dies führt zur zentralen Frage, wie die hoheitlichen Kernaufgaben ohne Steuerpflicht von der wirtschaftlichen Tätigkeit im Wettbewerb zur Privatwirtschaft abzugrenzen sind. So mag für Fälle wie Parkhäuser, Verkehrsbetriebe und Kantinen ein Wettbewerb identifiziert werden. Für die Mehrzahl der Tätigkeiten der öffentlichen Hand steht jedoch die Daseinsvorsorge als öffentliche Aufgabe im Vordergrund.
Das Steuerecht geht grundsätzlich vom Wettbewerber mit Profitorientierung aus, während ein Großteil der Tätigkeiten der öffentlichen Hand nur auf Kostendeckung ausgerichtet sind. Die öffentliche Hand kann diese Abgrenzung aus dem komplexen Gesamtgefüge nur durch sehr zeitaufwendig Prozesse vornehmen. Dies hat sich durch die von der EU veranlassten Umsatzsteuerneuregelungen noch verschärft und zu aufwändigen Prozessen, wie etwa umfangreichen Bestanderhebungen, geführt. Und das alles kam in Zeiten, in denen uns alle der Krieg in der Ukraine, die Unterbringung von Geflüchteten, die Corona-Folgen und die angespannte Wirtschaftslage herausforderten.
Aus meiner Sicht brauchen wir deshalb:
- Vereinfachungen für die öffentliche Hand in Form von Optimierungen der Prozessabläufe, stärkere Digitalisierung und Automatisierung und gesetzliche Vereinfachungen bei der Abgrenzung von wirtschaftlicher und hoheitlicher Tätigkeit,
- eine angemessene Anerkennung der TCMS-Maßnahmen der öffentlichen Hand durch Erleichterungen und „Kooperative Begleitung“ statt Kontrolle und
- eine Entbürokratisierung der Steuerpflicht für Bagatellfälle.
Ganz konkret bedeutet das, Gesetze und Richtlinien zu vereinfachen, etwa durch eine klare Definition der hoheitlichen Tätigkeit, vereinfachte Gewinnermittlungen mit pauschalierten Ansätzen von Betriebsausgaben, vereinfachte Bilanzen für rechtlich unselbständige wirtschaftliche Tätigkeiten, vereinfachte Steuererklärungen für die öffentliche Hand, die Weiterführung der Vereinfachungsregeln der Umsatzsteuer, die Nutzung des europarechtlichen Handlungsspielraums für Vereinfachungen und die Freistellung von Bagatellfällen von der Besteuerung, etwa bei Personalratstätigkeiten.
Nur so können wir sicherstellen, dass die öffentliche Hand ihrer Verantwortung, ihre steuerlichen Pflichten dauerhaft und gewissenhaft zu erfüllen, nachkommen kann. Zum anderen kommt der öffentlichen Hand bei der Erfüllung steuerlicher Pflichten eine Vorbildfunktion zu. Bürger und Unternehmen werden sich an uns messen. Damit tragen wir eine besondere Verantwortung, die naturgemäß eine gewisse Bürde darstellt, aber uns gleichzeitig großen Einfluss verleiht, den wir weise nutzen sollten. Denn eines ist klar: Der Staat soll ein vorbildlicher Steuerzahler sein.
Autor
Thomas Strobl ist stellvertretender Ministerpräsident und Minister des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen von Baden-Württemberg.