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F.A.Z.-Konferenz: Optimisten in unruhigen Zeiten

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Der Strukturwandel nach der deutschen Wiedervereinigung in den 1990er Jahren war für die Stadt Guben in Brandenburg eine tiefgreifende Herausforderung. Industrie wanderte ab. „Die Menschen sind dahingehend leidgeprüft“, sagt Bürgermeister Fred Mahro. Die Stadt habe aber den Umschwung geschafft, verzeichne Ansiedlungen wie zuletzt das Werk eines Snackherstellers oder eine Lithiumfabrik. Derweil stehen die Stadt und die Region Lausitz mit dem Kohleausstieg abermals vor einer Umwälzung. „Strukturwandel 2.0“ nennt Mahro die neuen Herausforderungen. Für deren Bewältigung gebe die Transformationserfahrung Mut und Kraft. „Wir haben es damals geschafft, und wir schaffen es auch diesmal“, sagt der Bürgermeister über den strukturellen Umbruch. Er sieht darin Chancen für die Region: „Mir macht in Guben Strukturwandel Spaß.“

Finanzklemme und Ampel-Aus sorgen für Unsicherheit

Mit diesem optimistischen Tenor startete gestern die F.A.Z.-Konferenz Stadt von morgen im Allianz Forum in Berlin. Die Veranstaltung lenkte den Blick auf die urbane Transformation, diesbezügliche Notwendigkeiten, Herausforderungen und Perspektiven. Einen Schatten auf die positiven Zukunftsaussichten Mahros wirft aber die Finanzsituation der Kommunen. Auch, dass die Bundesregierung ihre parlamentarische Mehrheit verloren hat, behindert aus Sicht der Kommunen wichtige Transformationsvorhaben. Denn zu unsicher ist die derzeitige politische und wirtschaftliche Lage. Dementsprechend sind wichtige Randbedingungen zu brüchig, um wegweisende und notwendige Infrastrukturinvestitionen auf belastbarer Basis in die Zukunft zu tätigen. Trotz seiner Gestaltungsfreude am Strukturwandel weist auch Mahro auf diese Unwägbarkeiten hin.

Als nach eigener Aussage Überbringer „schlechter Nachrichten“ gab sich bei der F.A.Z.-Konferenz insbesondere der Ökonom Jens Südekum. Er zeichnete ein trübes Bild der aktuellen Wirtschaftslage Deutschlands und sprach von einer „Transformation in unruhigen Zeiten“. Dies spiegele sich in der kommunalen Ebene wider. Südekum rechnet mit dringenden Investitionsbedarfen der privaten Wirtschaft und der öffentlichen Hand in jeweils dreistelliger Milliardenhöhe. Den Investitionsstau der Kommunen beziffert das KfW-Kommunalpanel mit über 180 Milliarden Euro. Investive Impulse seien dringend nötig „nicht nur um Klimaziele zu schaffen, sondern auch um international wettbewerbsfähig zu sein“, unterstreicht Südekum.

F.A.Z.-Konferenz: Südekum fordert Reform der Schuldenbremse

Die Frage der Finanzierung wichtiger Investitionen betreffe alle staatlichen Ebenen. In der Bundespolitik spiele dabei die hochumstrittene Frage nach der Schuldenbremse eine Rolle. Letztlich gehe es darum: „Schafft man es, diese Beträge aufzubringen durch Priorisierung im Haushalt, oder schafft man das nicht.“ Südekum nennt hinsichtlich der Investitionsnotwendigkeiten einen Betrag von 70 Milliarden Euro pro Jahr und kommt zu dem Schluss: „Das schafft man nicht.“ Insofern plädiert er für eine Reform der sogenannten Schuldenbremse – und zwar bestenfalls zügig in demokratischem Konsens noch vor der anstehenden Neuwahl des Bundestags.

Städte ringen um Gestaltungsspielraum

Wie Kommunen um finanzielle Spielräume ringen, skizzierten bei der F.A.Z.-Konferenz Bürgermeister Mahro und Sibylle Keupen, die Oberbürgermeisterin von Aachen. Trotz seines Optimismus beschreibt Mahro eine durchaus krisenhafte Situation. Bund und Länder übertrügen den Kommunen immer neue Aufgaben, die nicht auskömmlich finanziert seien. „Das nimmt uns die Luft zum Handeln“, sagt Mahro – dabei seien doch gerade hinsichtlich wichtiger Transformationsprozesse lokale Handlungsspielräume wichtig. Beispiel Gesundheitswesen: „Ich musste mich vor zehn Jahren mit der Krankenhaussituation in meiner Stadt überhaupt nicht beschäftigen, jetzt wird an mich herangetragen, ob wir Anteile kaufen.“

Doch nicht nur Defizite bei der Umsetzung des Konnexitätsprinzips, also der auskömmlichen Zuweisung von Finanzmitteln für die Aufgabenerfüllung, fesselten die Städten. Es gehe auch um überbordende Bürokratie und zu enge Entscheidungsspielräume für pragmatische, lokal angepasste Lösungen. „Wir brauchen mehr Vertrauen von Land und Bund“, fordert Keupen. „Wir sind die Gestalter vor Ort.“ Auf lokaler Ebene erreichten politische Entscheidungen die Lebenswelt der Menschen. „Wir sind die, die es einlösen“, meint Keupen. Aber: „Der Berg wird immer größer, der Gestaltungsspielraum in unseren Haushalten neben den pflichtigen Aufgaben ist verschwindend gering.“

Beispiel Aachen: Kommunen als Treiber der Transformation

Dabei sei es doch gerade jetzt wichtig, Investitionsentscheidungen in die Zukunft zu treffen. Klimaanpassung, Wärme- und Energiewende, Verkehrswende – die Kommunen stünden vor großen Infrastrukturaufgaben und gleichzeitig vor der Herausforderung, ihr Gemeinwesen generationengerecht und lebenswert zu gestalten. Bei der Bewältigung dieser Aufgaben brauche es die Beteiligung der Bürgerschaft, unterstreicht Keupen. Aachen ist eine von acht deutschen Städten in der sogenannten EU-Mission für klimaneutrale und smarte Städte. In dem EU-Programm arbeiten mehr als 100 Städte daran, bis 2030 die Klimaneutralität zu erreichen. Dabei ist der Einbezug der Stadtgesellschaft wesentlich. Aachen hat dafür einen Stadtklimavertrag entworfen, der lokale Akteure einschließt. So habe man „ein starkes Bündnis, auf dem wir stehen“, geformt, meint Keupen. Sowohl private als auch öffentliche Akteure arbeiteten gemeinsam am Klimaziel. Das zeige die gesellschaftliche Kraft, die Kommunen als Treiber der Transformation entfachen.

Um tiefgreifenden Wandel zu gestalten, brauche es in der Stadtgesellschaft Akteure, die vorangehen, meint Mahro. Und sogar Südekum hat bei der F.A.Z.-Konferenz hinsichtlich der Transformation nicht nur schlechte, sondern auch eine gute Nachricht. Trotz aller wirtschaftlichen Turbulenzen bleibe das Streben nach Klimaneutralität und Nachhaltigkeit ein maßgeblicher Faktor für wirtschaftliche Progression. „Es gibt keinen Climate Backlash“, meint Südekum. Auch der Ökonom ist Optimist.

a.erb@derneuekaemmerer.de

Andreas Erb

Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Er arbeitet insbesondere an der Weiterentwicklung der Plattform #stadtvonmorgen und berichtet dabei vorwiegend über urbane Transformationsprozesse. Für die Redaktion von „Der Neue Kämmerer“ beleuchtet er diese Themen aus Perspektive der Kommunalfinanzen. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.