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Moderation mit Modellcharakter rettet öffentliches Großprojekt

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Seit rund einem Jahr ist mit dem Neubau des Varisano Klinikums Frankfurt Höchst das weltweit erste Klinikgebäude mit Passivhauszertifikat in Betrieb. Das Projekt stellte sich als besonders anspruchsvoll heraus und war mit Herausforderungen konfrontiert, die über das übliche Maß bei Klinikbauvorhaben hinausgingen. Trotz Nachträgen, Bauzeitverlängerungen und mehrfach verschobener Fertigstellungstermine wurde das Vorhaben erfolgreich abgeschlossen, und zwar durch eine All-in-Gesamtvereinbarung, die ohne Rechtsstreit und mit moderater Kostensteigerung umgesetzt werden konnte.

Geplant war eine Schwerpunktklinik mit 675 Betten und Kosten von rund 263 Millionen Euro. Die Stadt Frankfurt am Main beauftragte die stadteigene Zentrale Errichtungsgesellschaft mbh (ZEG) als Bauherrin. Zur Sicherstellung von Kosten und Terminen entschied man sich für einen Generalunternehmer. Die Arbeitsgemeinschaft Klinikum Frankfurt Höchst (ARGE KFH) aus Zechbau Hochbau AG und Max Bögl Stiftung & Co. KG erhielt in einem öffentlichen Vergabeverfahren den Zuschlag. Mit Projektsteuerung, Bauoberleitung und örtlicher Bauüberwachung wurde die ARGE BOS Projektmanagement & HDR TMK beauftragt. Das juristische Projektmanagement übernahmen HFK Rechtsanwälte Heiermann Franke Knipp und Partner mbB.

Der Bauantrag wurde am 21. Dezember 2015 genehmigt, Baubeginn war am 18. Juni 2016, der vertraglich vereinbarte Fertigstellungstermin der 15. Oktober 2019. Doch dieser Termin konnte nicht eingehalten werden: Es gab mehrfach Verschiebungen, deren Ursache zwischenzeitlich zum Hauptstreitpunkt wurde. Die Gebäudeübergabe durch den Generalunternehmer an Varisano erfolgte schließlich am 23. Januar 2023, der Einzug am 4. und 5. Februar 2023.

Bauzeitverlängerungen

Tatsächlich hatte die ARGE KFH mit der ZEG 2016 einen Werkvertrag mit äußerst weit gefassten Pflichten geschlossen, unter anderem mit einer Vertragsstrafe bei Bauzeitverlängerung. Der Rohbau konnte 2017 noch mit modernen „Lean-Construction“-Methoden zügig und sogar vor den vereinbarten Terminen errichtet werden. Doch die Weiterentwicklung der Planungsergebnisse für die Ausbaugewerke stellte sich als äußerst komplex dar. Umfassende Abstimmungen mit der Bauherrin und dem späteren Nutzer führten zu buchstäblich Tausenden Detailfragen sowie der Entwicklung von Entscheidungsvorlagen und der koordinierten Umsetzung dieser Entscheidungen. Diese Prozesse gerieten ab 2018 jedoch zunehmend aus dem Tritt.

Die Gründe waren vielfältig: Zum einen entbrannte Streit über Vertragsumfang und Qualität der Entwurfsplanung. Von Nutzerseite ergaben sich teils geänderte Anforderungen, die eingearbeitet werden mussten. Die ARGE KFH meldete mehrere Hundert Nachträge und damit Mehrvergütungsansprüche an. Die ZEG rügte Mängel an bereits ausgeführten Leistungen. Auf beiden Seiten gab es personelle Fluktuation. Nachunternehmer mussten ersetzt werden. All das beeinträchtigte die Entscheidungsprozesse, die sich aufgrund wechselseitiger Rechtswahrung stärker bürokratisierten. Dabei wäre schnelles und pragmatisches Handeln notwendig gewesen. Ab 2020 kamen die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie hinzu. Ein mehrjähriger Verzug im Planungs- und Bauablauf mit gegenseitigen Forderungen von 90 Millionen Euro hatte sich aufgestaut. Das Projekt drohte zu scheitern.

Um einen Ausweg aus der verfahrenen Situation zu finden, beauftragte die ARGE KFH Anfang 2021 mit Stefan Leupertz einen neutralen Streitschlichter. Die Parteien benannten die Streitpunkte. Der Moderator legte den Ablauf in Abstimmung mit beiden Seiten fest, aber ohne Entscheidungskompetenz. Projekt- und Bauleitung hielt man aus den Streitfragen heraus, damit sie sich auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren konnten.

Sukzessive und zielgerichtet wurden erste strittige Themen abgearbeitet. Die Einigung über das weitere Vorgehen zu hochkomplexen, aber auch hochstreitigen IT-Leistungen brachte den Durchbruch: Die Parteien entschieden, den Lösungsprozess auszudehnen, und einigten sich auf das Ziel, eine sogenannte All-in-Lösung nach Fertigstellung zu erreichen. Damit stand die erfolgreiche Projektfertigstellung wieder im Zentrum. Wenn auch die Gespräche mehrfach auf der Kippe standen und zwischenzeitlich sogar abgebrochen wurden, gelang es letztlich, die Moderation so zu gestalten, dass Anfang 2022 eine Fertigstellung zum Jahresende vereinbart wurde. Nachdem all dies geklärt war, konnten die Projektbeteiligten wieder effektiv und konstruktiv zusammenarbeiten.

„Best for Project“

In den Gesprächen ging es in erster Linie ums Geld – aber eben nicht nur. Denn nach mehreren komplizierten Verhandlungsrunden wurden nicht nur Lösungen für monetäre Streitthemen gefunden. Sondern es stellten sich auch verloren gegangenes Vertrauen und der beiderseitige Wille wieder ein, das Projekt gemeinsam bestmöglich zu Ende zu führen. Verlässlichkeit und Terminsicherheit kamen zurück. Dass die Parteien es auf der Basis eines vom Moderator entwickelten Konzepts sogar geschafft haben, drei Jahre Bauverzögerung auf rechtlich belastbarer Grundlage finanziell auszugleichen, ohne in jahrelangem Rechtsstreit Zeit, Geld und personelle Ressourcen zu verwenden, ist bemerkenswert. Das sollte auch für andere Großbauvorhaben Mut machen. Am Ende war der Weg frei für eine All-in-Vereinbarung, mit der die Partner gegen Zahlung eines Abgeltungsbetrags in niedriger zweistelliger Millionenhöhe alle wechselseitigen Forderungen beglichen.

Dieses Ergebnis zeigt den gemeinsamen Willen nach dem Prinzip „Best for Project“. Denn dass bei einer schon zu Beginn des Verfahrens weitgehend irreparablen Bauverzögerung die Kostensteigerung im Projekt letztlich unter 10 Prozent gehalten werden konnte, ist ein enormer Erfolg. Berücksichtigt man die Bauzeitverlängerung und die massive Preissteigerung im Bausektor, insbesondere infolge der Pandemie und des Ukrainekriegs, ist die Abweichung überdurchschnittlich gut.

Die erheblichen wechselseitigen Forderungen hätten zum Stillstand führen können, doch die Moderation eröffnete eine risikofreie Handlungsoption, die den Parteien einen geschützten Raum bot. Bei Großprojekten sollten solche Verfahren daher künftig zum Instrumentenkasten gehören. Denn Projekte mit einem Komplexitätsgrad des Klinikums Frankfurt Höchst leiden unter Brüchen zwischen den einzelnen Planungsschritten, gerade zwischen Entwurfs- und Ausführungsplanung. Vertragliche Regelungen können das Risiko verteilen, lösen aber das Problem nicht. Daher sollte hier ein Umdenken erfolgen: So könnten die späteren Ausführungsplaner und das ausführende Unternehmen in die Entwurfsplanung als überprüfendes Korrektiv einerseits und zur Wissensübertragung andererseits früher miteinbezogen werden. Zudem sollten bereits im Vertrag Mechanismen einer übergeordneten Steuerung oder ein geregelter Eskalationsmechanismus vorgesehen werden.

Schlussendlich beliefen sich die Gesamtkosten durch Nachträge und circa drei Jahre Bauzeitverlängerung auf rund 283 Millionen Euro. Das entspricht einer Kostensteigerung von gerade einmal 7,6 Prozent über eine Bauzeit von sechseinhalb Jahren. Hinzu kommen 10 Millionen Euro für die medizinische technische Ausstattung und 11 Millionen Euro für Interimslösungen wie die Zentralsterilisation sowie die Mitarbeiterspeisenversorgung auf dem Bestandsgelände. Insgesamt hat die Stadt Frankfurt am Main gut 250 Millionen Euro für diesen ersten Bauabschnitt zur Verfügung gestellt, das Land Hessen rund 54,7 Millionen Euro.

Gemessen an den reinen Baukosten liegt der Preis pro Bett bei etwa 350.000 Euro, inklusive Baunebenkosten bei 400.000 Euro. Das mag Außenstehenden recht hoch erscheinen, liegt aber eher unter dem Wert vergleichbarer Klinikneubauten. Allein die hohen technischen Anforderungen der Medizin- und Haustechnik sind mit anderen Gebäuden wie in der Industrie oder Hotellerie nicht vergleichbar. Hinzu kommt die Passivhausbauweise mit Zusatzkosten zwischen 4 und 6 Prozent. Aktuell werden die nächsten Schritte geplant: So wird überprüft, ob der zweite und dritte Bauabschnitt zusammengelegt und die Psychiatrie in den geplanten Funktionsbau integriert werden kann. Mit der All-in-Vereinbarung zwischen Generalunternehmer und Bauherrin sind Streitigkeiten über die Verantwortlichkeit für die Bauzeitverzögerung nun beigelegt und abgegolten – und der Klinikneubau wurde mit einem Verfahren abgeschlossen, das Modellcharakter für ähnliche Großprojekte erlangen könnte.

Autor

Dr. Bastian Bergerhoff ist Stadtkämmerer und Dezernent für Finanzen, Beteiligungen und Personal der Stadt Frankfurt am Main und zuständig für die Städtischen Kliniken Frankfurt am Main Höchst.
bastian.bergerhoff@stadt-frankfurt.de

Martin Menger ist Geschäftsführer der Zentralen Errichtungsgesellschaft mbH (ZEG).
m.menger@zeg-ffm.de

Info

Der Gastbeitrag ist zuerst in der aktuellen Ausgabe 1/2024 von Der Neue Kämmerer erschienen. Hier gelangen Sie zum E-Paper und hier zur Newsletteranmeldung.