Viele Kommunen in Ländern, die dem Bundesmodell folgen, erwarten ab dem kommenden Jahr eine massive Zusatzbelastung privater Eigentümer und hoffen nun, dass die Landesregierungen auf den letzten Metern nachsteuern. Sind Sie da froh, dass Niedersachsen sich bei den Grundsteuermodellen für einen Sonderweg entschieden hat?
Ich glaube, Niedersachen hat mit dem Flächen-Lage-Modell ein gutes Modell gewählt. Wir können zwar noch nicht im Einzelnen abschätzen, welche Effekte unser Modell haben wird, gehen aber davon aus, dass es nicht so große Verschiebungen geben wird wie beim Bundesmodell. Da sind wir deutlich gelassener als die Kommunen in Ländern, in denen die Diskussion jetzt in die Gemeinden getragen wird – das ist sicher der falsche Weg.
Auch wenn Niedersachsen davon nicht betroffen ist: Wie bewerten Sie die Möglichkeit abweichender Hebesätze für Privat- und Gewerbegrundstücke, wie sie Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein künftig zulassen wollen?
Da sind Bund und Länder sehenden Auges in ein Problem hineingelaufen. Aber beide Ebenen haben sich geweigert, auf ihrer Ebene eine Lösung zu finden. Und nun schieben sie den Schwarzen Peter der kommunalen Ebene zu. Man kann die differenzierten Hebesätze natürlich positiv sehen als zusätzliche Reaktionsmöglichkeit für die Kommunen. Aber das Instrument führt auch zu interkommunaler Konkurrenz: Wenn eine Gemeinde Gewerbe oder Wohnen verteuert, hat das auch Auswirkungen auf die Nachbargemeinden. Das bringt die Diskussion dann in die Räte. Der kommunalen Familie wäre es deshalb lieber gewesen, wenn Bund oder Länder das Problem geregelt hätten.
Zurück zum niedersächsischen Modell: Die Grundsteuer wird hier mit deutlich weniger Variablen berechnet als etwa beim Bundesmodell, dessen Umsetzung für Eigentümer und Behörden sehr aufwändig ist. Wie gut hat die Umsetzung der Reform in Niedersachsen vergleichsweise funktioniert?
Ich denke schon, dass das niedersächsische Modell deutlich weniger aufwändig in der Umsetzung ist. Es gibt Berechnungen vom niedersächsischen Finanzministerium, dass das Land mit dem Bundesmodell 300 zusätzliche Stellen in den Finanzämtern hätte schaffen müssen. Ich höre auch keine Empörungsstürme in meinem Umfeld, dass die Steuererklärung besonders kompliziert gewesen wäre. Als Eigentümer eines Einfamilienhauses habe ich zum Beispiel fünf Minuten gebraucht, um die Flurstücknummer in den Akten zu finden und weitere zehn Minuten, um Daten wie die Flächen einzutippen, mehr braucht man nicht.
Abgesehen von der praktischen Umsetzung: Gibt es in Niedersachen verfassungsrechtliche Bedenken am Flächen-Lage-Modell?
Wir halten das Modell für verfassungskonform. Klagen wird es trotzdem geben, und es werden Fehler passieren. Aber im Großen und Ganzen glauben wir, dass das Modell einfach ausgestaltet und gerecht ist.
Der Städte- und Gemeindebund fürchtet aber, dass die Reform das Gestaltungsrecht der Kommunen bei den Hebesätzen aushöhlt. Weil das Land die Kommunen verpflichten will, den jeweils aufkommensneutralen Hebesatz zu veröffentlichen ohne Rücksicht auf mögliche konjunkturbedingte Veränderungen?
Die kommunale Finanzlage ist derzeit ziemlich desolat. Die Kommunen klagen immer, dass sie zu wenig Geld und zu viele Aufgaben haben. Aber die Situation hat sich wirklich zugespitzt: Die unglückliche Krankenhausreform, der Anspruch auf Ganztagsbetreuung, Kosten für die Flüchtlingsunterbringung, Sozialkosten, Energiekosten – da kommt gerade sehr viel zusammen. Auf der Kreisebene sind in Niedersachsen alle Haushalte bei der Planung für 2025 im Minus. Das ist ein sehr deutliches Zeichen, so etwas hatten wir bisher noch nicht. Die Kommunen werden immer mehr zu Ausfallbürgen des Staates, müssen ihre eigenen Aufgaben aber ja auch weiter wahrnehmen. Kommt aber kein Geld vom Land, müssen die Kommunen prüfen, wie sie ihre finanzielle Situation verbessern können, und die Grundsteuer ist eine wichtige Einnahmequelle. Wenn die Politik in Berlin verkündet, dass die Reform aufkommensneutral sein soll, könnten die Bürgerinnen und Bürger meinen, die Reform wäre für sie selbst aufkommensneutral. Das ist natürlich ein Missverständnis. Unabhängig von der Entwicklung der Hebesätze werden Shitstorms kommen. Es ist für uns aber wie in einem ganz normalen Jahr: Entweder muss die Grundsteuer wegen des Finanzbedarfs erhöht werden oder nicht. Nur, dass die Hebesätze jetzt wegen der neuen Berechnung mit dem Lagefaktor nicht mehr mit den vorherigen vergleichbar sind.
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Dr. Marco Trips ist seit dem Jahr 2012 Präsident des Städte- und Gemeindebunds in Niedersachsen. Der promovierte Jurist war zuvor Stadtrat bei der Stadt Sehnde.
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Das Flächen-Lage-Modell:
Beim niedersächsischen Grundsteuermodell spielen Parameter wie das Alter und die Ausstattung des Gebäudes keine Rolle. Entscheidend für die Berechnung sind die Flächen von Grundstück und Gebäude und die Art der Nutzung der Immobilie. Hinzu kommt das Verhältnis des Bodenrichtwerts des einzelnen Grundstücks zum durchschnittlichen Bodenrichtwert der Gemeinde, das den sogenannten Lagefaktor bestimmt.
Dr. Sarah Döbeling ist gemeinsam mit Vanessa Wilke Chefredakteurin der Zeitung „Der Neue Kämmerer“. Sarah Döbeling hat Rechtswissenschaften in Kiel studiert und zu einem konzernrechtlichen Thema promoviert. Im Anschluss an ihr Volontariat bei der F.A.Z. BUSINESS MEDIA GmbH war sie bis 2015 Redakteurin des Magazins „FINANCE“ und verantwortete zudem redaktionell die Bereiche Recht und Compliance innerhalb von F.A.Z. BUSINESS MEDIA. Nach weiteren Stationen beim Deutschen Fachverlag und in einer insolvenzrechtlich ausgerichteten Kanzlei kehrte Sarah Döbeling im September 2017 in die F.A.Z.-Verlagsgruppe zurück und leitet seitdem die Redaktion der Zeitung „Der Neue Kämmerer“.