Energiewende, Mobilitätswende, Krankenhausfinanzierung, Wohnraummangel, Digitalisierung, Verwaltungsmodernisierung: Die Kommunen stehen vor mannigfaltigen Strukturaufgaben. Welche Handlungsspielräume sie dafür haben, lotete gestern der fünfte Hessische Kämmerertag, der in Frankfurt am Main im Römer stattfand, aus. Die von dieser Zeitung organisierte Veranstaltung richtete den Fokus auf das Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Als einen Ansatz, die tiefgreifenden Transformationsprozesse effizient zu gestalten, stellte der hessische Finanzstaatssekretär Uwe Becker, der zuletzt Bürgermeister in Frankfurt war, eine Entbürokratisierung in Aussicht: „Wir sind bereit, Leine zu lassen.“
Welche alten Zöpfe können abgeschnitten werden?
Dabei beschwor Becker die Gemeinsamkeit zwischen den Herausforderungen, denen Land und Kommunen entgegensehen. Vieles sei „nicht die Frage von unterschiedlichen Seiten“, sondern es gehe um Diskussionen „auf Augenhöhe“ darüber, wie man zur Verfügung stehende Mittel verteile. Angesichts knapper Ressourcen und des zunehmenden Arbeitskräftemangels gelte es umso mehr, „vor neuen Aufgaben die Frage zu stellen, welche alten Zöpfe abgeschnitten werden können“. Becker sprach von Standardreduzierung und Bürokratieabbau, beispielsweise bei der Beantragung von Fördermitteln. Antragshürden, Prüfpflichten und Berichtswesen zu verschlanken könne schon ein Hebel dafür sein, Verwaltungen zu entlasten. Das Land sei durchaus bereit, „den Kommunen mehr an Freiheit zuzubilligen“.
Dabei offenbarte die Veranstaltung aber auch, dass es landesweit wohl keinen Überblick darüber gibt, welche Sonderfördermittel einzelne Kommunen abrufen. Im Sinne der Entbürokratisierung regte der geschäftsführende Direktor des hessischen Städtetags Jürgen Dieter nämlich an, Förderungen zu pauschalisieren. Gäbe es eine ressortübergreifende Übersicht über Fördertatbestände sowie entsprechende Zuweisungen an Kommunen und zeige sich, dass sich die Zuwendungen pro Einwohner ähneln, dann sei es doch naheliegend, einen pauschalen Verteilungsschlüssel anstelle aufwändiger Einzelprogramme für die Mittelverteilung anzuwenden, meinte Dieter. Doch weder scheint eine solche Liste vorhanden zu sein noch traf die Idee bei Becker auf Begeisterung. Schließlich werde es immer kommunenspezifische Bedarfe geben, die sich pauschal nicht abdecken lassen, so der Staatssekretär.
Hessischer Kämmerertag: Plädoyer für Konnexitätsprinzip
In der Podiumsdiskussion mahnte Dieter das Konnexitätsprinzip an. Für den Kommunen neu zugewiesene Aufgaben und Standards müssten auskömmliche Finanzmittel hinterlegt sein. Seine Kernbotschaft: „Wir brauchen mehr Geld für Aufgaben, die wir nicht selbst gesetzt haben.“ Dabei beschrieb Beckers Amtsnachfolger in Frankfurt, Kämmerer Bastian Bergerhoff, insbesondere die Krankenhausfinanzierung als ein drängendes Problem, das von zwei Notwendigkeiten bedingt sei: zum einen der Finanzierung akuter Bedarfe und zum anderen dem Finden einer nachhaltigen, strukturellen Lösung. Auch in diesem Zusammenhang zeigte sich Becker solidarisch mit den Kommunen und wies auf die dafür maßgebliche Rolle des Bundes hin.
Grundsätzlich sprach sich Bergerhoff für ein schlüssigeres Erwartungsmanagement aus. Wecke die Politik auf Bundes- und Landesebene Erwartungen – Stichworte: Personalschlüssel in Kitas oder der Ausbau der Ganztagsbetreuung in Grundschulen –, die sich in den Kommunen nicht umsetzen ließen, führe dies zu Enttäuschung und Unmut in der Bevölkerung. Es gelte dringend, Standards zu überprüfen und zu priorisieren. Nicht zuletzt hinsichtlich des zunehmenden Arbeitskräftemangels bräuchten Verwaltungen „mehr Flexibilität und Unterstützung von Bund und Land“. Denn: „Eine resiliente Demokratie braucht kommunale Handlungsfähigkeit und starke und leistungsfähige Verwaltungen.“
Warnung vor der Entbürokratisierungsbürokratie
Demgegenüber hemme an vielen Stellen die Regulatorik pragmatische Lösungen vor Ort. Ebenso seien die Kommunen mit ihrer Vollzugskompetenz nicht so an Gesetzgebungsprozessen beteiligt, wie sie es sein müssten. Bergerhoff drängte ebenfalls auf einen Bürokratieabbau. Dabei mahnte Dieter mit Blick auf das neu formierte hessische Entbürokratisierungsministerium: „Ich habe die Sorge, dass wir eine Entbürokratisierungsbürokratie aufbauen und die Entbürokratisierung so viel Bürokratie benötigt, dass sie sich gar nicht mehr lohnt.“ Neben Becker, Dieter und Bergerhoff nahm an der Podiumsdiskussion David Rauber, Geschäftsführer beim hessischen Städte- und Gemeindebund, teil.
Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Er arbeitet insbesondere an der Weiterentwicklung der Plattform #stadtvonmorgen und berichtet dabei vorwiegend über urbane Transformationsprozesse. Für die Redaktion von „Der Neue Kämmerer“ beleuchtet er diese Themen aus Perspektive der Kommunalfinanzen. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.