Mit dem Neubau zum digitalen Verwaltungszentrum

Frau Rathgeber, Sie gehen jetzt in Ihr drittes Jahr als Landrätin. Was sind die drängendsten Themen?Rathgeber: Das ist tatsächlich die Digitalisierung. Angesichts des Fachkräftemangels kann sie uns zum Beispiel in der Prozessoptimierung unterstützen. Wir arbeiten an einigen Stellen noch mit Papierakten und die Mitarbeiter nehmen Koffer mit Akten mit, wenn sie von zu Hause arbeiten. Mit Blick auf das digitale Verwaltungszentrum wollen wir den Mitarbeitern mehr Freiheiten geben, auch mehr Möglichkeiten, mobil zu arbeiten. Wir wollen neue Fachsoftware anschaffen bzw. erstmalig Fachsoftware einsetzen.Wie setzen Sie das digitale Verwaltungszentrum physisch um? Nicole Rathgeber ist Landrätin des Werra-Meißner-Kreises (Foto: Werra-Meißner-Kreis)Rathgeber: Wir haben ein neues Verwaltungszentrum gebaut und einen großen Umbau des bisherigen Standorts im Schloss geplant. Dort wollen wir dann wieder mit einem Großteil der Mitarbeiter einziehen. Wir widmen uns auch dabei dem Thema Digitalisierung und New Work, das digitale Verwaltungszentrum ist da kein Widerspruch, sondern zentraler Bestandteil des Konzepts, zum Beispiel zur Umsetzung von Desksharing. Unser Motto heißt: Neues Arbeiten in alten Mauern. Wir wollen die Mitarbeiter mit New Work und Digitalisierung mitnehmen. Dazu haben wir im Digitalisierungsausschuss des Hessischen Landkreistages überlegt, ob man ein New-Work-Labor einrichten sollte, um den anderen Landkreisen die Idee zu vermitteln.Der Deutsche Städtetag hat gerade ein Positionspapier zum Fachkräftemangel veröffentlicht. Wie kann Digitalisierung dabei helfen, neue Mitarbeiter zu gewinnen?Rathgeber: Wenn ich mir die Zahl der Bewerbungen anschaue, die ich noch bekomme, dann ist das eine Herausforderung. Wir wollen mit der Digitalisierung Menschen dazu bringen, Prozesse zu vereinfachen, und auch zusätzlich motivieren durch die Möglichkeit, von zu Hause aus arbeiten zu können. Das treibt uns um, aber es wird immer schwerer. Das muss man einfach so sagen, und ich muss mich darauf einstellen, dass ich viel mehr weiterbilden und qualifizieren muss als früher.Wie weit sind Sie mit der Digitalisierung vorangekommen?Rathgeber: Wir haben den Umzug in das neue Verwaltungszentrum genutzt, um mit der Digitalisierung zu starten und die Mitarbeiter frei von Akten zu machen. Um sie davon zu überzeugen, haben wir Bilder aus einem Büro im Schloss, vollgepackt mit Akten, und aus dem Idealbüro im neuen Verwaltungszentrum ohne Akten nebeneinandergestellt. Das hat gewirkt. Der Neubau ist technisch gut ausgestattet und hier funktioniert auch tatsächlich alles. Wir haben mittlerweile einen Info-Point und damit einen Anlaufpunkt für Bürgerinnen und Bürger. Das wollen wir mit dem digitalen Verwaltungszentrum noch erweitern. Wir sind für unsere Bürgerinnen und Bürger weiterhin persönlich da. Aber mit dem digitalen Verwaltungszentrum bieten wir auch eine digitale Erreichbarkeit. Denn nicht jeder möchte nach Eschwege kommen. Aus den Randkommunen des Landkreises dauert die Anfahrt mindestens eine halbe Stunde.Wie sieht denn das Idealbüro im neuen Verwaltungszentrum aus?Rathgeber: Zum Beispiel ist jeder Arbeitsplatz mit zwei gleich großen Bildschirmen ausgestattet. Das war vorher meistens Stückwerk mit unterschiedlichen Bildschirmgrößen. Es gibt nun digitale Whiteboards. Das hat die Mitarbeiter sehr erfreut. Und wir haben digital ausgestattete Besprechungsräume, in denen wir gut mit dem Notebook arbeiten können – das funktioniert dann auch hybrid im digitalen Verwaltungszentrum. Wir brauchen keine störungsanfälligen Beamer mehr, sondern arbeiten mit Monitoren. Die Mitarbeiter, auch wenn sie nicht so technikaffin sind, kann man damit begeistern.Herr Lehr, Sie sind mit Ihrem Start-up an der Entwicklung des digitalen Verwaltungszentrums beteiligt. Welche Technologie kommt hier zum Einsatz?Lehr: Im Werra-Meißner-Kreis setzen wir unser digitales Rathaus zunächst auf Basis unserer DSGVO-konformen Browserlösung ivCAMPUS um, später dann – wenn entsprechende Voraussetzungen vorliegen – als mit Microsoft Teams integrierte Version. Das digitale Rathaus ist eine virtuelle Bürolösung, die tägliche Zusammenarbeit, Besprechungen, Projektarbeit, soziales Miteinander und Interaktion mit Bürgern ermöglicht.Wie funktioniert Ihre Anwendung im Tagesgeschäft der Verwaltung? Thomas Lehr ist Co-Founder des Start-ups ivicos (Foto: ivicos).Lehr: Im Prinzip haben wir damit eine Übersetzungsleistung gemacht, mit der wir die täglichen Interaktionen von Verwaltungsmitarbeitenden in einer intuitiv begreifbaren virtuellen Umgebung umsetzen. Was unsere Technologie kann, müssen wir so darstellen und präsentieren, dass es im öffentlichen Sektor auch entsprechende Relevanz bekommt – dazu haben wir im digitalen Verwaltungszentrum verschiedene Use Cases für den öffentlichen Sektor so zusammengeführt, dass die Mitarbeitenden praktisch alle Tätigkeiten ortsunabhängig, das heißt auch aus dem Homeoffice verrichten können.Was leistet die Anwendung noch?Lehr: Unsere Technologie leistet drei Dinge: erstens die digitale Zusammenarbeit der Verwaltung auf eine neue Basis zu stellen, zweitens den Austausch in der Region zum Beispiel mit kreiseigenen Kommunen (IKZ) zu erleichtern, weil unsere Technologie auch organisationsübergreifende Zusammenarbeit unterstützt, und drittens der wachsenden Zahl digital affiner Bürger einen Kanal zu bieten, mit dem sie mit der Kommune digital kommunizieren können. Das erleichtert auch die Bürgerbeteiligung, wenn Entscheidungen auf Kreisebene zu treffen sind und die unterschiedlichen Realisierungsmöglichkeiten der Bevölkerung vorgestellt werden sollen. Im Moment ist das immer noch daran gebunden, dass die Optionen irgendwo physisch ausgestellt werden. Durch die virtuelle Darstellung kann das digitale Verwaltungszentrum die Bürger als aktive Elemente des kommunalen Handelns auch digital einbinden.g.schilling@derneuekaemmerer.de Info Der Beitrag ist zuerst in der aktuellen Ausgabe 1/2024 von Der Neue Kämmerer erschienen. Hier gelangen Sie zum E-Paper und hier zur Newsletteranmeldung.

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