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Kommunaler Gesamtabschluss: Mehrwert oder Selbstzweck?

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Bislang führt der kommunale Gesamtabschluss vielfach ein Schattendasein. Ob eine Kommune einen Gesamtabschluss veröffentlicht, interessiert kaum jemanden – dabei ist er bereits in vielen Kommunen, die eine Doppikumstellung vollzogen haben, vorgeschrieben. Dass in den kommenden Jahren in einigen Bundesländern die Fristen zur erstmaligen Aufstellung eines Gesamtabschlusses ablaufen, sollte zum Anlass genommen werden, die Diskussion darüber neu zu entfachen.

Trotz hoher Ausgliederungsaktivitäten hat der Gesamtabschluss in der Praxis bislang nur eine geringe Bedeutung. In den vergangenen 20 Jahren wurden immer mehr kommunale Aufgaben aus der Kernverwaltung in öffentliche Einrichtungen oder Unternehmen ausgelagert. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts ist die Anzahl öffentlicher Fonds, Einrichtungen und Unternehmen als Träger öffentlicher Aufgaben seit der Jahrtausendwende um über 60 Prozent von rund 11.500 auf mehr als 19.000 im Jahr 2019 gestiegen. Fast 90 Prozent davon entfallen auf die kommunale Ebene.

In der Mehrzahl der Flächenländer entfällt gemäß Daten des Statistischen Bundesamtes inzwischen mehr als die Hälfte der durchschnittlichen kommunalen Pro-Kopf-Verschuldung auf die kommunalen Beteiligungsunternehmen und Sondervermögen.

Wenige Städte mit Gesamtabschluss

Es wäre zu erwarten gewesen, dass die Relevanz des kommunalen Gesamtabschlusses vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen zunimmt. Immerhin ist der Gesamtabschluss das einzige institutionalisierte Instrument, das eine vollständige finanzielle Rechenschaftslegung von Kernhaushalt und Beteiligungsunternehmen gewährleistet und somit (stadt-) konzernweit Chancen und Risiken aufzeigen kann. Doch die Realität sieht vielerorts anders aus.

Eine Analyse des Instituts für den öffentlichen Sektor aus dem Jahr 2021 zeigt: Von den 100 größten Städten in Deutschland haben nur 41 mindestens einmal einen Gesamtabschluss veröffentlicht. Davon liegen allein 28 Städte in Nordrhein-Westfalen. Dabei sind allerdings die wenigsten Abschlüsse aktuell. Nur in drei der 41 untersuchten Städte lag damals ein Abschluss für das Jahr 2019 vor, bei zehn Städten stammte der letzte verfügbare Abschluss aus dem Jahr 2018. Die Mehrzahl dieser Städte hat die letzten Abschlüsse für die Jahre 2015 oder 2016 vorgelegt. 13 der 41 Städte haben überhaupt nur einmal einen Gesamtabschluss veröffentlicht.

Unterschiedliche Regeln in den Bundesländern

Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass viele Kommunen rechtlich (noch) nicht oder nicht mehr zur Aufstellung eines kommunalen Gesamtabschlusses verpflichtet sind. Zwar gibt es in den meisten Bundesländern für die Kommunen eine Pflicht zur Anwendung der doppischen Rechnungslegung; dort sind die Kommunen grundsätzlich auch zur Aufstellung eines Gesamtabschlusses verpflichtet.

Viele Bundesländer haben die Verpflichtung zur Aufstellung eines konsolidierten Gesamtabschlusses aber für bestimmte (kleinere) Kommunen zurückgenommen oder spätere Fristen beschlossen. Hinzu kommen in einigen Bundesländern verschiedene Vereinfachungsregeln bei der Aufstellung des Gesamtabschlusses. Und doch zeigen nicht zuletzt die fehlende Aktualität und Regelmäßigkeit bei der Aufstellung, dass der Stellenwert des kommunalen Gesamtabschlusses unabhängig von gesetzlichen Vorgaben offenbar gering ist. Aus Gesprächen mit Experten und Praktikern ist zu erfahren, dass eine Nichtaufstellung für Kommunen oftmals ohne Konsequenzen bleibt.

Da das Instrument zudem kaum nachgefragt wird, bleiben auch die Potentiale des Gesamtabschlusses ungenutzt: Für Aufsichtsbehörden oder Rechnungsprüfungsämter scheinen zur Beurteilung der kommunalen finanzwirtschaftlichen Situation die Haushaltspläne und/oder Beteiligungsberichte interessanter zu sein, die jedoch nur Einzelbetrachtungen und oftmals nur Kennzahlen statt vollständiger Jahresabschlüsse enthalten. Banken bewilligen – anders als in der Privatwirtschaft – Kreditvergaben mangels aktuell verfügbarer Abschlüsse auf Grundlage der Haushaltspläne. Auch Verwaltungsführung und Stadträte nutzen den Gesamtabschluss kaum als Rechenschaftsinstrument oder Zahlengrundlage für die Konzernsteuerung.

Kämmereien in Sachen Gesamtabschluss befähigen

Da die Abschlüsse in der Praxis nicht genutzt und nachgefragt werden, stehen sie in vielen Kämmereien auf der Prioritätenliste weit unten. Jedoch kann der Gesamtabschluss seine Wirkung nur dann entfalten, wenn er regelmäßig und zeitnah erstellt wird. Es sollte daher ein gemeinsames Verständnis über den Mehrwert geben, den ein Gesamtabschluss in bestimmten Kommunen und unter bestimmten Bedingungen leisten kann.

In einer Kommune mit sehr geringem Auslagerungsgrad ist ein Gesamtabschluss zum Beispiel weniger relevant als in einer Stadt mit sehr vielen Ausgliederungen. Denn je mehr Ausgliederungen es gibt, umso weniger kann die finanzielle Lage der Stadt noch sinnvoll anhand des Jahresabschlusses für den Kernhaushalt beurteilt werden. Auch die strategische Bedeutung der ausgelagerten Aufgaben kann eine Rolle spielen: Ein Stadtwerk, das wesentliche Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge übernimmt, hat für die Gesamtsituation einer Stadt ein größeres Gewicht als andere Beteiligungen, die weniger zentrale Aufgaben übernehmen. In solchen Fällen ist der kommunale Gesamtabschluss zur Herstellung finanzwirtschaftlicher Transparenz und als Informations- und Entscheidungsgrundlage für Politik, Verwaltung, Aufsichtsbehörden oder Banken unabdingbar.

Genauso könnte – wo noch nicht geschehen – über Vereinfachungen in der Aufstellung des Gesamtabschlusses nachgedacht werden, sofern sie die Aussagekraft des Abschlusses nicht zu sehr einschränken. Schließlich müssten die Kämmereien personell und technisch besser zur zeitnahen Aufstellung befähigt werden. Die Einrichtung einer konzernweiten spezialisierten Organisationseinheit in Form eines „Service-Zentrums Rechnungswesen“ könnte dafür ein Lösungsansatz sein.

fschuster@kpmg.com

Autor

Franziska Holler ist Projektleiterin, Dr. Ferdinand Schuster ist Geschäftsführer im von KPMG geförderten Institut für den öffentlichen Sektor e.V.

Info

Der hier veröffentlichte Beitrag ist zuerst in der aktuellen Zeitungsausgabe 4/2022 von Der Neue Kämmerer erschienen. Hier geht es zum Abo und hier zur Newsletter-Anmeldung.
Anne-Kathrin Meves

Anne-Kathrin Meves ist Redakteurin der Zeitung „Der Neue Kämmerer“. Nach dem Studium der Anglistik, Geschichte und Wirtschaftswissenschaften (M.A.) hat sie ein Volontariat beim Deutschen Fachverlag in Frankfurt am Main absolviert. Danach wechselte sie 2011 als Redakteurin zu Frankfurt Business Media, dem FAZ Fachverlag. Zunächst schrieb sie dort für die Magazine „FINANCE“ und „Der Treasurer“. 2018 wechselte sie in das Redaktionsteam von „Der Neue Kämmerer“.